Einleitung
Mit diesem Kapitel beginnt ein neuer Abschnitt in der Prophezeiung. Bisher hat Amos weitergegeben, was er vom HERRN gehört hat. Jetzt möchte er über das sprechen, was der HERR ihm gezeigt hat. In diesem Teil, Amos 7–9, haben wir fünf Visionen: drei in Amos 7, eine in Amos 8 und eine in Amos 9. In diesen Visionen begegnen wir drei Jahreszeiten: In der ersten Vision ist es der Frühling, in der zweiten der Sommer und in der vierten der Herbst. So ist es mit dem Volk gewesen. Es befindet sich jetzt im Herbst seiner Geschichte.
Was Amos in den Visionen sieht, stimmt mit Amos 3 überein (Amos 3,7; vgl. 1Mo 18,17.23). In den Visionen 1, 2, 3 und 5 sieht Amos den HERRN selbst. Die drei Visionen in Amos 7 beziehen sich wahrscheinlich auf die drei Invasionen Assyriens in das Land Israel. Die erste Invasion findet unter Pul statt, wo sich Assyrien zurückzieht, nachdem Menachem eine Steuer bezahlt hat, die dann das Land ruiniert (2Kön 15,16–21). Die zweite Invasion ist, als derselbe Pul, der König von Assyrien, auch Tiglat-Pileser genannt, in den Tagen Pekachs in Israel einmarschiert, mehrere Städte in Besitz nimmt und die Einwohner wegführt, aber den größten Teil des Landes verschont (2Kön 15,29). Bei der dritten Invasion findet der letzte Transport der zehn Stämme durch Salmaneser nach Assyrien statt (2Kön 17,6.22.23).
Die Visionen 1 und 2 gehören zusammen, denn diese Visionen beinhalten eine zusätzliche Zucht, auf die Gott nach der Fürbitte zurückkommt. Auch die Visionen 3 und 4 gehören zusammen. Es geht nicht mehr um Zucht, sondern darum, die Menschen nicht länger zu schonen. Das Volk wird genauso untergehen, wie in der fünften Vision gezeigt wird. Das ist eine Vision, in der Amos den HERRN selbst sieht.
Es ist nicht klar, ob das Volk von den drohenden Katastrophen in den Visionen 1 und 2 etwas gemerkt hat. In jedem Fall erhalten sie die Hintergrundinformation, dass es sich bei diesen Katastrophen um Gerichte Gottes handelt, dass sie aber auf der Grundlage des Gebets seines Dieners abgewendet wurden. Der Herr Jesus ist der perfekte Fürbitter.
Gott hat lange Zeit Geduld gehabt. Mehr als einmal stand er kurz davor, Israel zu richten. Die Fürbitte des Propheten, d. h. des Geistes Christi, der im Propheten wirkt, hat die Geißel gestoppt. Aber jetzt ist das Gericht unvermeidlich. Der HERR steht mit dem Senkblei in der Hand und nichts kann Ihn von der Vollstreckung des Gerichts abbringen.
1 Mähen und Beschneiden
1 So ließ mich der Herr, HERR, sehen: Siehe, er bildete Heuschrecken zu Beginn des Spätgraswuchses; und siehe, es war das Spätgras nach dem Königsmähen.
Der HERR zeigt Amos, und auch uns, was Er vorhat. Die Frage ist nur: Haben wir ein Auge dafür, sehen wir es auch (Amos 3,7)? Amos sieht es und es bringt ihn zur Fürbitte. Gott zeigt Amos, was Er tut. Er bildet Heuschrecken, nicht nur als Geschöpfe, sondern als Werkzeuge seines Zorns (vgl. Jer 18,11a). Wir können in diesen Heuschrecken ein Bild der Assyrer sehen. In Joel 1 und 2 finden wir auch den Übergang von den buchstäblichen Heuschrecken in Joel 1 zur assyrischen Armee in Joel 2. Der HERR nennt dieses Heer „seine Heeresmacht“ (Joel 2,11).
Die Heuschrecken werden gebildet, um das Spätgras zu fressen. Das erste Gras, das aufkam und bereits gemäht worden war, ging in die königlichen Ställe. Die israelitischen Könige scheinen das Recht beansprucht zu haben, den ersten Schnitt des Grases für ihre eigenen Ställe zu nehmen (vgl. 1Kön 18,5). Was nach diesem Mähen wieder wächst, ist das Spätgras. Dieses dient als Nahrung für das Vieh der Bevölkerung. Eine Heuschreckenplage, die dieses Spätgras verschlingt, verursacht eine regelrechte Katastrophe, eine Hungersnot für Mensch und Tier.
Wir können die folgende Anwendung des Mähens und des Spätgrases machen: Das Mähen des Grases deutet auf den Tod. Das Leben ist abgeschnitten. Der Herr Jesus muss in unserem Leben Gras mähen, d. h., Er muss die Blumen, die wir pflegen und auf die wir stolz sind, wegnehmen. Nach dem Mähen wächst das Spätgras. Man sagt, dass das schönste und saftigste Gras dort wächst, wo am häufigsten gemäht wird. Keine Furcht vor Gott ist so groß wie die, die auf ein wiederholtes Mähen durch Gott folgt.
Wenn uns unsere Gesundheit, unsere Freunde, unser Geld und unsere günstigen Umstände immer wieder genommen werden, beginnen oft die schönsten Zeiten der Liebe, des Gebets und der Hingabe. Wir sollten wissen: Wenn das Gras gemäht wird, wächst danach das Spätgras auf.
Im Mähen und im Spätgras sehen wir ein weiteres Bild: Das Mähen ist ein Bild der vergangenen Pracht unter den Invasionen der Feinde, aber danach erhebt sich die Pracht wieder. Doch am Ende droht auch diese neue Pracht wieder verloren zu gehen, wie es in der Geschichte Israels geschehen ist.
2 Fürbitte
2 Und es geschah, als sie das Kraut der Erde ganz abgefressen hatten, da sprach ich: Herr, HERR, vergib doch! Wie sollte Jakob bestehen? Denn es ist klein.
Amos spricht zum HERRN mit der Freiheit eines Menschen, der eine vertrauliche Beziehung zu Ihm kennt. Er weist den „Herrn, HERRN“ (Adonai Jahwe) darauf hin, dass die Strafe für diesen „Wurm Jakob“ (Jes 41,14) sehr schwer ist. Hier sehen wir die andere Seite von Amos. Der furchtlose Prediger, der harte Worte zu dem Volk spricht, erhebt hier seine großen Viehhändlerhände nach oben zu Gott und bittet Ihn für sein Volk, um es zu verschonen. Im Angesicht des Volkes brüllt, im Angesicht Gottes kämpft und fleht er.
Er sieht das Volk jetzt nicht im Vergleich zu anderen Völkern; dann fühlen sie sich groß. Aber er sieht sie in ihrer Verbindung zu Gott, und wie klein und sündig sind sie dann. Amos spricht mit den Worten „es ist klein“ eine völlig andere Sprache als die Prahler, die sich in eigener Kraft rühmen (Amos 6,13). Er nennt das Volk hier „Jakob“, womit er andeutet, dass sie ein Volk von Sündern sind, aber auch das Volk, mit dem Gott seinen Namen verbinden wollte.
Die Propheten beten zu Gott für diejenigen, denen sie im Namen Gottes prophezeien. Es ist ein großes Privileg, dass Gott uns zeigt, was Er plant. Gleichzeitig gibt es uns aber auch eine große Verantwortung. Sie bringt Amos dazu, zu predigen und Fürbitte zu leisten. Das muss auch die Wirkung auf uns sein, bei allem, was wir von Gottes Plänen wissen. Wir können viel von Menschen lernen, bei denen wir diese Wirkung sehen, wie Abraham (1Mo 20,7), Mose (2Mo 17,8–13; 32,30.31), Samuel (1Sam 7,8; 15,25), Jeremia (Jer 15,1), Hesekiel (Hes 9,8) und Joel (Joel 1,19).
3 Auswirkung der Fürbitte
3 Der HERR ließ sich dieses gereuen: Es soll nicht geschehen, sprach der HERR.
In seiner Souveränität hört der HERR das Gebet seines Dieners und gebraucht das Gebet um sein Werk fortzusetzen. Er vergibt nicht – Vergebung ist nur nach Bekenntnis möglich –, aber dennoch führt Er die Strafe nicht aus. Er trägt „Reue“ darüber. Er ist nicht der unerbittliche Gott, der steinerne Gott. Nicht, dass Er seine Pläne ändert, aber Er ändert die Art und Weise, wie Er sie ausführt. Gottes Reue hat niemals mit einer falschen Entscheidung zu tun, die Er getroffen hätte, sondern mit einer Änderung der Art und Weise, wie Er seine richtige und unwiderrufliche Entscheidung ausführt.
Welch ein Segen sind Fürbitter für das Volk, vielleicht sogar, ohne dass sich das Volk dessen bewusst ist. Was für eine Ermutigung zur Fürbitte. Die Liebe zu Gott und seinem Volk manifestiert sich vor allem in der Fürbitte. Fürbitte wird nicht von Menschen getan, die glauben, dass alles festgelegt ist und dass Gott seine Meinung doch nicht ändern kann. Echte Fürbitte wird auch nicht von Menschen getan, die glauben, dass man Gott durch Gebet manipulieren kann. Dann würden wir den Eindruck gewinnen, dass wir Menschen es besser wissen als Gott.
Gott weiß alles im Voraus. Für Ihn gibt es keine Überraschungen. In seinen Plänen berücksichtigt Er die Fürbitte seines Volkes. Gott erwartet, dass seine Kinder so weit wie möglich in das, was Er plant, einbezogen werden. Deshalb hat Er sie darüber ausführlich informiert. Alle seine Informationen sind in seinem Wort zu finden. Deshalb ist das Lesen und Studieren seines Wortes eine absolute Voraussetzung, um ein Fürbitter zu werden.
4 Feuer
4 So ließ mich der Herr, HERR, sehen: Siehe, der Herr, HERR, rief, um mit Feuer zu richten; und es fraß die große Flut und fraß das Erbteil.
Die Vision 2 ist eine Erweiterung von Vision 1. Beide befassen sich mit Naturphänomenen, die von Gott geformt und dazu berufen sind, die Quellen des Lebens Israels anzugreifen. Hinter den Heuschrecken und dem Feuer sehen wir die Hand Gottes.
In dieser zweiten Vision scheint es, dass das Volk trotz der Verschiebung der vorherigen Vision nicht bereuen wollte. Amos sieht, dass das Feuer bereits wütet. Das Feuer ist hier die Sonne, die mit ihrer sengenden Hitze alles verbrennt. Das Feuer repräsentiert Tiglat-Pileser, den assyrischen König (2Kön 15,27–29; 1Chr 5,6.26; 2Chr 28,20). Gott hat die Macht, alles hervorzurufen, was Er zur Züchtigung seines Volkes einsetzen will. Er ruft ein Feuer hervor und was Er hervorruft gehorcht.
„Die große Flut“ steht für die heidnische Welt und „das Erbteil“ für sein Volk Israel. Das Feuer ist kein irdisches Feuer, sondern der Zorn des HERRN.
5 Nochmalige Fürbitte
5 Da sprach ich: Herr, HERR, lass doch ab! Wie sollte Jakob bestehen? Denn es ist klein.
In Vers 2 sieht Amos, dass das Gericht kurz vor der Ausführung steht. Dort bittet er um Vergebung. Hier sieht er, dass das Gericht bereits begonnen hat. Deshalb ruft er aus: „Herr, HERR, lass doch ab!“ Amos ist wieder der Fürbitter, aber er wiederholt nicht automatisch das Gebet des letzten Mal. Er sieht deutlich, was der HERR tut und was vor seinen Augen geschieht. Aus diesem Grund appelliert er erneut an Ihn.
Wenn wir Fürbitte tun, ist es wichtig, ein Auge für die tatsächliche Situation zu haben. Dann können wir gezielt beten. Gott erwartet von uns, dass wir mit Einsicht in sein Handeln beten. Für den Christen ist dies eines der Merkmale der Sohnschaft. Ein Sohn ist jemand, der mit Einblick in die Pläne seines Vaters handelt.
6 Auswirkung der nochmaligen Fürbitte
6 Der HERR ließ sich dieses gereuen: Auch das soll nicht geschehen, sprach der Herr, HERR.
Diese zweite Erhörung ist eine zusätzliche Ermutigung, weiterhin Fürbitte zu tun. Wir müssen nicht befürchten, dass Gott es leid wird, uns zuzuhören. Wie kann das anders sein, da Er gerade sagt, dass wir im Gebet ausharren sollen (Eph 6,18; 1Thes 5,17; Kol 4,2). Abraham erlebte dies in seiner Fürbitte für Sodom (1Mo 18,22–33). Bis zu sechsmal bekommt er das, um was er bittet.
Das Gleichnis vom ungerechten Richter zeigt dasselbe (Lk 18,1–8). Der Herr Jesus spricht dieses Gleichnis zu seinen Jüngern und zu uns, „dass sie allezeit beten und nicht ermatten sollten“ (Lk 18,1). Und in der Anwendung des Gleichnisses sagt Er: „Gott aber, sollte er das Recht seiner Auserwählten nicht ausführen, die Tag und Nacht zu ihm schreien, und ist er in Bezug auf sie langsam? Ich sage euch, dass er ihr Recht schnell ausführen wird“ (Lk 18,7.8a).
7 Gottes Werk ist vollkommen
7 So ließ er mich sehen: Siehe, der Herr stand auf einer senkrechten Mauer, und ein Senkblei war in seiner Hand.
In Vision 1 und 2 zeigt der Herr, HERR (Adonai Jahwe) Amos, was Er tut. Er ist dabei, das Gericht vorzubereiten und sogar es zu vollstrecken. Das bringt Amos zur Fürbitte. In dieser dritten Vision sieht Amos „den Herrn“ (Adonai) selbst und zwar als Richter. Er gewinnt Einblick in die absolute Gerechtigkeit des Gerichts, das bereits zweimal auf seine Fürbitte hin verschoben wurde. Nachdem Amos dies gesehen hat, tut er keine Fürbitte mehr.
Der Herr steht „auf einer senkrechten Mauer“. Die Mauer ist ein Bild Israels, wie Gott es gewollt hat: ein wohlgeordnetes und solides Bauwerk (vgl. Hld 8,9.10). Die Tatsache, dass Er darauf steht, zeigt, dass Israel sein vollkommenes Eigentum und Ihm unterworfen ist.
Das Senkblei zeigt die perfekte Ordnung und Rechtmäßigkeit von Gottes Werk in und mit Israel. Es gibt keine Abweichungen oder Unvollkommenheiten in seinem Werk, sie sind nicht in Ihm vorhanden (vgl. Jes 5,1–4).
8 Das Senkblei
8 Und der HERR sprach zu mir: Was siehst du, Amos? Und ich sprach: Ein Senkblei. Und der Herr sprach: Siehe, ich lege ein Senkblei an mein Volk Israel, in seiner Mitte; ich werde fortan nicht mehr [schonend] an ihm vorübergehen.
Wenn der HERR Fragen stellt, dann tut Er das, um uns in sein Handeln einzubeziehen. Er möchte uns Einblick darin geben, damit wir sehen können, dass Er gerecht handelt, und wir seinen Handlungen zustimmen werden. Indem Er uns einbezieht, kann er uns auch in seinen Plänen eine Rolle spielen lassen. Er möchte, dass wir Ihn in seinem Handeln verstehen. Das Stellen von Fragen zwingt die andere Person, aufmerksam zu beobachten und oft auch nachzudenken.
Amos wird nicht gefragt, ob er weiß, was es bedeutet. Er bekommt die Erklärung, ohne dass wir seine Frage hören. Aber wenn jemand Gottes Handeln aufmerksam betrachtet, wird er sicher neugierig nach dem Grund dafür sein. Auch Jeremia und Sacharja werden gefragt, was sie sehen (Jer 1,11.13; Sach 4,2; 5,2). Nach ihren Antworten sagt ihnen der HERR auch die Bedeutung dessen, was sie sehen.
Auf die Frage, was Amos sieht, hätte er antworten können: „Dich“ oder „eine Mauer“. Aber er antwortet: „Ein Senkblei.“ Darum geht es ja gerade. Das Senkblei ist ein Stück Blei an einem Seil, das man entlang oder vor ein Bauwerk hängt, um zu sehen, ob es senkrecht gebaut ist. Im übertragenen Sinn wird es hier verwendet, um die Präzision, die Genauigkeit des Gerichts über Israel zu zeigen (2Kön 21,13; Jes 34,11).
Die Wand steht senkrecht, das Senkblei zeigt dies an. Gottes Werk über Israel ist vollkommen. Jetzt wird das Senkblei an Israel gelegt. Das Senkblei deutet darauf hin, dass ein vollkommen geradliniges Maß angewendet wird, um ihre Missetaten aufzuzeigen, sodass die Abweichung von allen anerkannt werden muss. Gott hat einen unveränderlichen Maßstab, um die geistliche Aufrichtigkeit seines Volkes zu prüfen. Das Maß, an dem das Leben des Volkes gemessen wird, ist das Gesetz. Das Senkblei wird neben alles gehalten, was das Volk tut.
Nach dem Aufzeigen der Abweichungen würde eine weitere Verzögerung den Eindruck erwecken, dass Gott die Sünde nicht ernst nimmt. Amos erkennt, dass der Herr, indem Er das Senkblei anlegt, den Weg zu weiterer Fürbitte abschneidet. Das Gericht steht fest und wird nun vollstreckt. Gottes Entscheidung steht fest: „Ich werde fortan nicht mehr [schonend] an ihm vorübergehen“, wie Er es in Ägypten getan hat (vgl. Amos 5,17). In Ägypten ist Gott wegen des Blutes an den Türpfosten vorübergegangen (2Mo 12,13). Doch nun ist Gottes Geduld zu Ende.
9 Das Gericht vollstreckt
9 Und die Höhen Isaaks werden verwüstet und die Heiligtümer Israels zerstört werden, und ich werde mit dem Schwert gegen das Haus Jerobeams aufstehen.
Mit „den Höhen Isaaks“ ist Beerseba gemeint, wo der HERR Isaak erschien und wo er einen Altar baute und den Namen des HERRN anrief (1Mo 26,23–25). Es ist zu einem Ort geworden, an den die Menschen auch gehen, um ihre religiösen Verpflichtungen zu erfüllen (Amos 5,5).
In diesem Gericht finden wir einen weiteren Hinweis auf das Auftreten der Assyrer, diesmal unter König Salmaneser (2Kön 17,1–6). Das Gericht über „das Haus Jerobeams“ wurde über den Sohn des Jerobeam, Sekarja, gefällt, der sechs Monate regierte und dann ermordet wurde (2Kön 15,10). Nach Sekarja regierten fünf weitere Könige, zusammen 41 Jahre lang, in Israel. Unter dem letzten dieser fünf, König Hosea, wurde das Volk von den Assyrern weggeführt. Dies geschah im Jahr 722 v. Chr. (2Kön 17,6).
10 - 11 Der Widerstand Amazjas
10 Da sandte Amazja, der Priester von Bethel, zu Jerobeam, dem König von Israel, und ließ [ihm] sagen: Amos hat eine Verschwörung gegen dich angestiftet inmitten des Hauses Israel; das Land wird alle seine Worte nicht zu ertragen vermögen; 11 denn so spricht Amos: Jerobeam wird durchs Schwert sterben, und Israel wird gewiss aus seinem Land weggeführt werden.
Der Teil der Verse 10–17 ist ein Zwischensatz, der an die ersten drei Visionen anschließt. Die Geschichte mit Amazja beweist, dass das Volk das Böse beharrlich verfolgt und sich von nichts davon abbringen lässt, auch nicht durch die Botschaft von Amos. Deshalb kann das Gericht nicht mehr abgewendet werden.
Während Amos für das Volk Fürbitte tut, beschuldigt ihn ein falscher Priester der Verschwörung. Dieser falsche Priester, Amazja, wird „der Priester von Bethel“ und nicht „der Priester des HERRN“ genannt. Amazja muss der Ober- oder der Hohepriester gewesen sein. Die falsche Anschuldigung, die er macht, ist die erste Reaktion auf Amos’ Predigten, die wir hören. Diese Reaktion kommt von einem religiösen Führer. Religiöse Führer fühlen sich immer in ihren angeblichen geistlichen Rechten angegriffen, wenn ein wahrer Diener Gottes kommt. Sie wissen sich als Menschen entlarvt, die eine Position behaupten, die ihnen Vorteile bringt und die sie deshalb nicht aufgeben wollen.
So ist es mit jedem Prediger, der Wahrheiten verkündet, die menschliche religiöse Institutionen verurteilen. Es ist genau wie in den Tagen des Herrn Jesus, als auch die Opposition von den religiösen Führern kam (vgl. Lk 23,2; vgl. Apg 6,13). Eine Religion, die von der Politik des Menschen ohne Furcht vor Gott organisiert ist, kann das Zeugnis der Wahrheit nicht ertragen.
Amazja widersetzt sich dem Werk Gottes. Dafür benutzt er eine falsche Anschuldigung. Falsche Anschuldigungen wurden immer vom Teufel benutzt, um Gottes Werk zu untergraben (Jer 37,14.15).
Das Wort „da“, mit dem Vers 10 beginnt, scheint darauf hinzudeuten, dass Amazja über alles, was Amos gesagt hat, informiert ist oder dass es ihm zur Kenntnis gebracht worden ist. Aufgrund der Gerichtsankündigung in Vers 9 ist für ihn jetzt das Maß voll ist. Tatsächlich ist es wahrscheinlich, dass Amos seine Vision ausgesprochen hat, denn Amazja zitiert das, was in Vers 9 geschrieben steht. Dabei gibt er unbeabsichtigter Weise Zeugnis von den Worten des Propheten ab.
Nachdem Amos das endgültige Gericht verkündet hat, kann Amazja es nicht länger anhören. Er unternimmt zwei Aktionen, eine an König Jerobeam und eine an Amos. Für den König Jerobeam verdreht er die Worte von Amos. Amos hat von „dem Haus Jerobeams“ gesprochen (Vers 9). Amazja verwandelt sie in „Jerobeam“ persönlich.
Wo die eigene – oft behauptete – Position in Gefahr ist, wird sie meist verteidigt, nicht nur mit falschen Anschuldigungen, sondern auch durch das Zitieren von Halbwahrheiten oder das Verdrehen von Worten. In solchen Fällen sehen wir, dass die Personen immer selektiv handeln. Amazja zum Beispiel sagt kein Wort über die Fürbitte von Amos.
Wenn es darum geht, ins Exil zu gehen, zitiert Amazja die Worte von Amos richtig. So hat Amos es auch gesagt (Amos 5,27).
„Das Land wird alle seine Worte nicht zu ertragen vermögen“, bedeutet, dass der Frieden des Landes durch das, was Amos sagt, gestört wird. Damit bezeugt er unbewusst die Kraft der Worte des Amos, die in Wirklichkeit die Worte Gottes sind.
12 Ausgewiesen
12 Und Amazja sprach zu Amos: Seher, geh, flieh in das Land Juda; und iss dort dein Brot, und dort magst du weissagen.
Dann folgt die Handlung gegenüber Amos. Amazja bezeichnet Amos wegen seiner Visionen und der angekündigten Gerichte als „Seher“ (vgl. Jes 30,10; Mich 3,7) bezeichnen. Es ist möglich, dass er dieses Wort in einem spöttischen Sinn verwendet, weil er seinen Worten überhaupt nicht glaubt. Amazja sagt zu Amos, er solle nach Juda gehen, wo er ungestört mit der Prophezeiung seinen Lebensunterhalt verdienen könne. Als ob mit der Entfernung des Boten auch die Botschaft nicht mehr gälte. Als ob beim Tod eines Arztes, der gesagt hat, dass jemand an einer schweren Krankheit leidet, die Krankheit rückgängig gemacht wird.
Der Aufruf Amazjas zeigt auch, dass er vergisst oder ignoriert, dass Gott keine Landesgrenzen kennt, wenn es um sein Volk geht. Ebenso gibt es keine „Bezirksgemeinden“, in denen bestimmte Pastoren das Sagen haben und wahre Diener Gottes ausgeschlossen sind – auch wenn Gott jedem seiner Diener sein eigenes Gebiet gibt (2Kor 10,13–18). Niemand sollte von „meiner Gemeinde“ sprechen, außer der Herrn Jesus (Mt 16,18). Und Er hat seine Gaben seiner Gemeinde gegeben, das sind alle Gläubigen (Eph 4,7.11).
Amazja sieht Amos als jemanden, der seinen Lebensunterhalt als Prophet verdient, sicherlich genauso wie er es als Priester tut (Mich 3,5.11). Er kann nicht verstehen, dass Amos nicht den „Beruf“ des Propheten ausübt, sondern als ein vom HERRN berufener Diener prophezeit.
Auch das verstehen die Leute heute nicht. Für einen materialistisch denkenden Menschen ist es undenkbar, dass sich jemand, der sich in den Dienst des Herrn Jesus stellt, nicht vom Geld leiten lässt. Ein solcher Mensch geht nicht dorthin, wo er am meisten bekommt, sondern dorthin, wo Gott will, dass sein Wort gepredigt wird. Gott kennt die Orte, an denen die Verkündigung seines Wortes notwendig ist, unabhängig davon, ob die Menschen darauf warten oder nicht.
Der so genannte gute Rat, den Amazja in Erwartung der Antwort des Königs gibt, ist rein aus seinem eigenen Interesse. Er will Amos loswerden.
13 Vermischung
13 Aber in Bethel sollst du fortan nicht mehr weissagen; denn dies ist ein Heiligtum des Königs und dies ein königlicher Wohnsitz.
In der Bezeichnung „Heiligtum des Königs“ und „königlicher Wohnsitz“ kann die Vermischung von Politik und Religion gesehen werden, als wäre Religion eine politische Angelegenheit. Dies spiegelt sich in den Namen einiger Denominationen wider, wie z. B. der Protestantischen Kirche in den Niederlanden, der Kirche von England und der Deutschen Evangelischen Kirche.
Es ist das Heiligtum des Königs, weil ein König (Jerobeam I.) es gegründet hat (1Kön 12,28). Er tat dies aus politischen Gründen. Es gibt kein stärkeres politisches „Bindemittel“ als die Religion. Von diesem Standpunkt aus gesehen ließ König Nebukadnezar im Tal von Dura eine große Statue aufstellen. Diese Statue ist das Zentrum, um das er alle Königreiche zur Anbetung versammelt (Dan 3,1–7).
In islamischen Ländern funktioniert es nicht anders. Leider ist auch die Christenheit davon durchdrungen, mit dem Vatikan als deutlichstem Ausdruck. Wenn Menschen Gottes Zentrum der Anbetung durch ihre eigene Erfindung ersetzen und auch politische Ziele verfolgen, führt dies zu dem, was als „die Frau auf dem Tier“, die große Hure (Off 17,1–6), beschrieben wird. Die Frau ist die Weltkirche oder die römisch-katholische Kirche mit, als Folge der Ökumene, den protestantischen Kirchen unter ihren Flügeln. Das Tier ist das vereinte Europa.
Im Streben des Weltkirchenrates nach Ökumene ist kein Platz für die Stimme Gottes. Gott ist von oben, wir sind von unten. Alles Denken ist auf das Leben auf der Erde ausgerichtet. Gott wird nur insofern ein Platz eingeräumt, als Er in die Pläne des menschlichen Strebens passt. Aber wo kein Platz für die Stimme Gottes ist, da ist auch kein Platz für Ihn.
14 Amos, ein einfacher Mann
14 Und Amos antwortete und sprach zu Amazja: Ich war kein Prophet und war kein Prophetensohn, sondern ich war ein Viehhirt und las Maulbeerfeigen.
Der „Rat“ Amazjas wird von Amos ignoriert. So wie der Herr Jesus den Rat der Pharisäer ignorierte, als sie Ihm sagten, Er solle wegziehen, weil Herodes ihn töten wollte (Lk 13,31–33). Amos ist kein Prophet von Beruf und auch nicht in der Ausbildung dafür. Er hat keine theologische Ausbildung oder Bibelschule gehabt. In seiner Familie kann er auf niemanden verweisen, zum Beispiel auf seinen Vater oder einen Vorfahren, der sich inmitten des Volkes Gottes einen Namen gemacht hat (vgl. Gal 1,1).
Die ersten Apostel waren auch einfache Fischer, ungelehrte und ungebildete Leute (Apg 4,13). Im Buch der Richter sehen wir, wie Gott, um sein Volk von der Macht der Feinde zu befreien, sich oft Menschen bedient, die eine gewisse Schwäche haben. Über den Herrn Jesus wurde gesagt: „Wie besitzt dieser Gelehrsamkeit, da er doch nicht [in den von den Pharisäern anerkannten Schulen] gelernt hat?“ (Joh 7,15; Sach 13,5).
Amos ist ein Viehhirt und züchtet Maulbeerfeigen. Er bezeugt mit großer Freimütigkeit seine Abstammung und seine Aktivitäten, denn dies ist ein zusätzlicher Beweis dafür, dass nicht er wichtig ist, sondern der, der ihn gesandt hat und die Botschaft, die er in seinem Namen überbringt.
15 Amos, das Werkzeug des HERRN
15 Und der HERR nahm mich hinter dem Kleinvieh weg, und der HERR sprach zu mir: Geh hin, weissage meinem Volk Israel.
Amos’ Antwort an Amazja zeigt, dass er trotz seiner bescheidenen Herkunft und seines niedrigen Status in der Gesellschaft von den Worten Amazjas völlig unbeeindruckt ist. Warum sollte er das auch sein? Der HERR hat etwas mit ihm getan und etwas zu ihm gesagt.
Er musste etwas loslassen. Das ist oft die erste Übung, die jeder bekommt, der etwas für den Herrn tun will. Wie das genau bei Amos gelaufen ist, wird uns nicht mitgeteilt. Als fürsorglicher Viehhirt muss er sich gefragt haben, wer sich um sein Vieh kümmern wird, als er ging. Aber der HERR hat ihm die Ruhe gegeben, sodass er sich keine Sorgen machen musste. Wenn Er ruft, wird Er auch für sein Vieh sorgen (vgl. Mt 4,22). Amos musste sein Vieh dort lassen, wo es war, im Vertrauen darauf, dass der HERR sich um es kümmern würde, und hingehen und tun, was der HERR ihm befohlen hatte.
Der Befehl war klar: „Geh hin, weissage meinem Volk Israel.“ Kurz gesagt, Amos sagt Amazja, der einzige Grund zu sprechen ist, weil der HERR ihn gerufen hat. Wie bereits erwähnt, ist dies keine leichte Aufgabe. Doch Amos weiß sich vom HERRN selbst unterstützt, denn Er hat von „meinem Volk Israel“ gesprochen. Darin schwingt die Liebe Gottes zu seinem Volk mit. Die Tatsache, dass Amos gegen sie weissagen soll, ändert nichts an dieser Liebe, sondern ist vielmehr ein Ausdruck davon. Wenn sein Volk nicht mehr mit Ihm geht, muss Er ihnen begegnen. Amos drückt die Stimme und die Gefühle Gottes aus.
16 Ein Wort zu Amazja
16 Und nun höre das Wort des HERRN: Du sprichst: Du sollst nicht weissagen über Israel und sollst nicht reden über das Haus Isaak.
Den Boten schlecht zu behandeln, bedeutet, seinen Sender schlecht zu behandeln. Einen Botschafter zu verachten, bedeutet, seinen König zu verachten. Ein Beispiel dafür ist, was Hanun, der König der Ammoniter mit den Boten Davids macht (1Chr 19,1–6). Die Reaktion von Amos gegen den Mann, der angeblich ein Amtsinhaber ist, ist messerscharf. Hier stößt der wahre Gottesdienst mit dem falschen zusammen. Amos gibt nicht buchstäblich das, was Amazja gesagt hat, wieder, wohl aber genau die Absicht. Der Ausdruck „weissagen“ ist ein typischer Ausdruck für die Propheten (Hes 21,2; vgl. Hiob 29,22).
Die Tatsache, dass sich das Volk offensichtlich als „das Haus Isaak“ sieht, könnte darauf hindeuten, dass es sich seiner Position als Nachkommen Abrahams rühmt. Isaak ist der Sohn der Verheißung (Gal 4,28). Aber ein solches Bekenntnis ist wertlos, wenn es nicht den Glauben und die Werke Abrahams einschließt (Joh 8,39.40).
Er spricht „das Wort des HERRN“. Das ist die Wahrheit und wird keinen Widerspruch dulden. Amazja hätte sagen können: „Das habe ich nicht gesagt“. Viele, die in verschleierter Sprache sprechen, tun dies. Aber ein Mann Gottes weiß, wie man den verborgenen Unterton hervorhebt, damit der andere ins Licht gestellt wird. Es gibt kein Entkommen, es gibt keine Antwort von Amazja.
17 Verworfen von Gott
17 Darum, so spricht der HERR: Deine Frau wird zur Hure werden in der Stadt, und deine Söhne und deine Töchter werden durchs Schwert fallen, und dein Land wird verteilt werden mit der Mess-Schnur, und du selbst wirst in einem unreinen Land sterben; und Israel wird gewiss aus seinem Land weggeführt werden.
Das Gericht, das Amos Amazja verkündet, zeigt, wie ernst es ist, einen Propheten Gottes zum Schweigen zu bringen. Wir lesen nicht, dass Amazja Amos geschlagen oder ihn auf andere Weise behindert hat. Aber die Verhinderung des Sprechens von Gottes Wort ist so schlimm, dass Amazja dieses schreckliche Urteil über sich und sein Haus auf sich nimmt. Möge es eine Warnung an all jene sein, die Gott zum Schweigen bringen wollen, denn das ist es, was Amazja faktisch wollte.
Amos setzt hier das Wort des HERRN, „so spricht der HERR“, gegen das Wort Amazjas, „du sprichst“ (Vers 16). Der Priester, der sich dem Wort des Amos, das in Wirklichkeit das des HERRN ist, widersetzt, wird persönlich die Folgen seines Widerstandes tragen müssen, und Israel wird sicherlich in die Gefangenschaft gehen. Was mit dem Priester und seiner Familie geschehen wird, ist symbolisch für das, was mit dem Volk geschehen wird.
Seine Frau wird, nachdem ihr Mann ins Exil weggeführt wurde, um dort, „in einem unreinen Land“, d. h. außerhalb Israels zu sterben, beginnen, ihren Lebensunterhalt als Hure zu verdienen. Amazja ist für das Gericht, das seine Familie trifft, hauptverantwortlich. Seine Frau wird ihm bei der Ausübung seines mutmaßlichen Priestertums nicht im Weg gestanden haben, vielleicht sogar dazu ermutigt haben. Seine Kinder sind an den Folgen dieser bösen Elternschaft beteiligt. Übrigens, wenn sie verloren gehen, dann ist das wegen ihrer eigenen Sünden. Amazja hat ein Feld und ist offenbar nicht vom Landbesitz ausgeschlossen (1Kön 2,26), aber er wird auch diesen Besitz verlieren.
Den Mund des Propheten zu stoppen, wird den Fortschritt von Gottes Wort nicht aufhalten, denn Gott fährt fort zu reden und sein Wort kehrt nie leer zurück (Jes 55,10.11).